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Der Zuhörer

Besucherzaehler 

Der Zuhörer

 

Die Sonne brennt seit vielen Tagen auf die Stadt nieder. Wind und Wolken haben sich in ferne Länder zurückgezogen. Die Innenstadt wirkt auf den ersten Blick wie ausgestorben. Nur ein paar Tauben stolzieren gelangweilt über den großen Marktplatz. Selbst die Katze des Kioskbesitzers hat keine Lust, ihren Schattenplatz zu verlasen. Überall nur Hitze und Stille.

In diese Stille mischt sich, fast aufschreckend, ein Geräusch. Anfänglich sehr leise, doch immer lauter werdend. Die Tauben erschrecken zuerst und flattern in verschiede Richtungen davon. Die Katze, dessen Augen jetzt ganz schmal geworden sind, richtet langsam ihre Ohren auf und lauscht konzentriert. Immer klarer wird das Geräusch, ein langsames, gleichmäßiges Schlurfen.

Jetzt hört es auf. Stille. Nur der monotone, hässliche Lärm aus den Durchgangsstraßen der Stadt, der bis in die letzten Winkel der großen Häuser und Firmen dringt, ist noch zu hören. Die überhitzte, trockenen Luft scheint zu knistern. Der Körper der Katze bleibt vollkommen angespannt, sie starrt in Richtung Rathausstraße, die schmal zwischen dem Stadtbäcker und der Metzgerfiliale liegt und auf dem Marktplatz endet.

Das Schlurfen wird wieder lauter. Die Tauben wagen es nicht, ihre Flügel zu bewegen. Ein Jumbojet fliegt in Tausenden von Metern über die Stadt und man spürt das Dröhnen. Die Katze ist Sprungbereit zur Flucht. Noch zweimal Schlurfen – und …?

Jetzt lässt die Katze entspannt ihren Kopf wieder auf den schattigen Boden sinken. Es ist der Streuner. Sie kennt ihn, wie alle anderen Einwohner auch. Aussehen ist für ihn Nebensache. Wildes Haar, selten ist er rasiert, schwarze Jeans und weißes T-Shirt. Der Streuner ist wie die Katze, immer auf der Suche nach gutem Futter. Das Futter aber, das er sucht, sind Gespräche. Wie ein Ausgehungerter streunt er jeden Tag durch die Stadt und wittert, wo ein gutes Gespräch möglich ist.

An solchen heißen Tagen wie diesen allerdings zieht auch er sich zurück in ein schattiges Nest. Diesmal ist es ein klimatisiertes Café am Marktplatz. Kaum angekommen, spürt er ein starkes kribbeln auf der Haut. Wenn er dieses Gefühl bekommt, weiß der Streuner: Hier bin ich richtig. Seine Augen werden hellwach und fahren alle anwesenden Personen wie ein Scanner ab. Schließlich bleiben sie an einem Tisch hängen, der von einem Mann besetzt ist. Zielstrebig geht er dorthin.

„Würde es Sie stören, wenn ich mich zu Ihnen setze?“

„Oh nein, ich freue mich immer, wenn sich jemand zu mir setzt. Bitte nehmen Sie Platz“, antwortet der Herr erfreut, erhebt sich und reicht dem Streuner seine gepflegte Hand.

Der Streuner betrachtet intensiv sein Gegenüber. Ein sauberes, weißes Hemd aus feinem Tuch. Keine Krawatte, dafür im Halsbereich etwas aufgeknöpft. Dazu eine passende schwarze Stoffhose. Etwa fünfzig Jahre alt. Unauffällige, aber elegante Brille, helle, blaue Augen, hohe Stirn.

„Ich bin in diesem Café als der Zuhörer bekannt“, sagt er, ein wenig schmunzelnd, um dem Streuner den Gesprächsstart zu erleichtern.

Der Streuner hat sich wieder auf seine Witterung verlassen können. Der Zuhörer – dieser Name wirft sofort Fragen auf. Es ist etwas Unbekanntes für ihn, also genau das Richtige. „Ihr Name macht mich neugierig. Können Sie ihn mir bitte näher erläutern?“

.......

Wie geht es wohl weiter .....

 

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